Skinny-Tok: Wie gefährlich ist der neue Abnehm-Trend?
- 11.07.2024 - Anzeigensonderveröffentlichung
- 26. Mai
- 7 Min. Lesezeit
Deshalb ist der neue Tik Tok Trend so gefährlich

Auf der Plattform TikTok verbreiten aktuell viele Creator unter dem Hashtag „Skinny Tok“ Abnehmtipps, die einen neuen Schlankheitswahn befeuern. Anders als frühere Diät-Trends verzichtet dieser Trend scheinbar auf strikte Essensverbote oder Kalorientabellen – stattdessen propagiert er eine bestimmte Einstellung: das sogenannte „Skinny Girl Mindset“. Wer schlank sein will, müsse demnach nur entsprechend denken und leben. Viele Nutzer feiern diese Einstellung und eifern dem Abnehm-Trend nach. Doch Fachleute sehen das kritisch. Denn hinter dem vermeintlich harmlosen Lifestyle verbergen sich problematische Botschaften, die insbesondere junge Menschen in ihrer Körperwahrnehmung negativ beeinflussen können. Der Druck, einem idealisierten Körperbild zu entsprechen, wird durch soziale Medien verstärkt – und kann die Entwicklung von Essstörungen begünstigen.
Inhaltsverzeichnis
Was ist Skinny-Tok?
Ende der 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre galten extrem schlanke Körper als Schönheitsideal: Der „Heroin-Chic“ und Size-Zero-Look dominierten die Modewelt. Topmodel Kate Moss war das Gesicht dieser Ära – ihr Kultstatus wurde durch ein berüchtigtes Zitat unterstrichen: „Nichts schmeckt so gut, wie sich dünn sein anfühlt.“
In den letzten Jahren schien sich ein Gegentrend durchzusetzen: Plus-Size-Models eroberten Werbekampagnen, die Body-Positivity-Bewegung gewann auf sozialen Plattformen an Reichweite, und in Formaten wie „Germany’s Next Topmodel“ wurden erstmals unterschiedliche Körperformen und Altersgruppen repräsentiert.
Doch aktuell mehren sich Anzeichen dafür, dass der extreme Schlankheitskult ein Comeback erlebt – insbesondere auf Plattformen wie TikTok. Unter Hashtags wie „Skinny Tok“ verbreiten Influencer Videos, in denen sie etwa teilen, wie man angeblich „schlank bleibt“ oder was sie als „dünne Person niemals tun würden“. Auch Kate Moss' altes Zitat taucht wieder auf. Diese Inhalte erzielen millionenfache Aufrufe – und sorgen bei Fachleuten für große Besorgnis.
Ist die Body-Positivity Bewegung vorbei?
Der Wunsch, schlank zu sein, wird grundsätzlich kaum infrage gestellt – selbst wenn er nicht von allen geteilt wird, erscheint er doch den meisten nachvollziehbar. Unsere Gesellschaft lehnt im Gegensatz dazu dicke Körper eher ab – insbesondere die von Frauen. Auch die Body-Positivity-Bewegung hat daran wenig verändert. Für viele war sie eher ein kurzlebiger Trend als ein tiefgreifender Wandel - leider.
Ein wirklicher Wandel in Bezug auf Körperbilder und Inklusivität hat demnach nicht stattgefunden. Deshalb fällt der Rückfall auf veraltete Schönheitsideale leicht – gerade jetzt, da Modeschauen erneut auf Size Zero setzen und Abnehmspritzen zur gängigen Praxis geworden sind. Statt Kalorientabellen und Weight Watchers heißt es heute: „Wenn du ein Skinny Girl sein willst, dann denke wie ein Skinny Girl.“ Schlanksein, so die Botschaft vieler TikTok-Videos, ist vor allem eine Frage der inneren Haltung.
Was ist das “Skinny Girl Mindset”?
Besonders kritisch ist die Ideologie des sogenannten „Skinny Girl Mindset“: Schlanksein wird als reine Einstellungssache dargestellt – als Teil eines gesunden Lebensstils. Dabei wird dünn sein zum höchsten Schönheitsideal erklärt und automatisch mit Gesundheit gleichgesetzt, während Mehrgewicht pauschal als ungesund gilt und mit Disziplinlosigkeit assoziiert wird, sagt Elin Wagner von der Hamburger Beratungsstelle Waage e.V. für Essstörungen. Diese Entwicklung beobachtet man dort mit Sorge: „Die Body-Positivity-Bewegung verliert an Sichtbarkeit. Wenn auf Social Media nur noch einseitige Körperbilder gezeigt werden, steigert das den gesellschaftlichen Druck, einem unrealistischen Ideal zu entsprechen.
Vor allem junge Frauen berichten von ihrem Weg zum „perfekten Körper“ – oder geben Tipps, wie andere es ihnen gleich tun können. Statt auf Verbote zu setzen, wird propagiert: Kleine Portionen reichen. Ein Stück Sahnetorte ist erlaubt – geteilt versteht sich. Wer sich emotional von Essen löst und eine „gesunde Beziehung“ zu Lebensmitteln entwickelt, soll auf dem besten Weg zum Idealgewicht sein. Sport ist kein Muss, aber Laufbänder für Zuhause boomen. Doch die Kernbotschaft bleibt: Schlank wird man nicht durch Anstrengung, sondern durch mentale Disziplin.
Dünn zu sein wird hier als Ausdruck von Selbstkontrolle und innerer Stärke vermarktet. Wer es wirklich will, lässt sich auf TikTok motivieren – mit Sätzen wie: „Belohn dich nicht mit Essen, du bist kein Hund.“ oder „Essen darf nicht dein Highlight des Tages sein – such dir ein Leben!“ Das alles wird als Empowerment verkauft und wenige sehen, wie problematisch diese Botschaften vor allem für junge Menschen sind.
Was ist so gefährlich am Abnehm-Trend?
Gerade Menschen, die psychisch labil sind – etwa Jugendliche mit geringem Selbstwertgefühl oder Schwierigkeiten bei der Identitätsentwicklung – sind anfällig für die gefährlichen Botschaften, die Trends wie „Skinny Tok“ auf TikTok verbreiten. “Wenn der Körper einer Frau das Einzige ist, was ihren Wert ausmacht – wie es beim Skinny-Girl-Trend vermittelt wird – ist das gesellschaftlich äußerst bedenklich“, warnt Prof. Dr. Eva Maria Skoda, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie stellvertretende Direktorin der LVR-Universitätsklinik Essen.
Essstörungen gehören zu den komplexesten psychischen Erkrankungen. Sie treten in verschiedenen Formen auf: Binge-Eating-Störung (wiederkehrende Essanfälle), Bulimie (Ess-Brech-Sucht) und Anorexie (Magersucht), oft auch als Mischformen. Die Binge-Eating-Störung ist laut Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit die häufigste Form, gefolgt von Bulimie. Magersucht ist zwar die bekannteste Essstörung, tritt jedoch am seltensten auf.
Essstörungen entstehen meist durch ein Zusammenspiel psychischer, sozialer und biologischer Faktoren. Doch eines ist allen Formen gemeinsam: eine übermäßige Fixierung auf Körper, Gewicht und Aussehen. Der Einfluss der sozialen Medien auf das Körperbild ist wissenschaftlich belegt. Eine vielzitierte Studie der Harvard Medical School unter Leitung von Dr. Anne Becker zeigte dies eindrucksvoll: Nach Einführung des Fernsehens auf Fidschi berichteten deutlich mehr Mädchen von gestörtem Essverhalten – beeinflusst durch westliche Schönheitsideale in TV-Formaten.
In Zeiten von TikTok ist dieser Einfluss noch unmittelbarer. Die Plattform funktioniert über Algorithmen: Wer sich ein Video zu „Skinny Tok“ ansieht, es liked oder kommentiert, bekommt zunehmend mehr Inhalte dieser Art angezeigt. So kann sich der Feed einer Jugendlichen binnen kürzester Zeit fast ausschließlich mit Videos rund um Abnehmen, Kaloriendefizit und Idealfigur füllen. Für psychisch labile Jugendliche kann diese digitale Dauerkonfrontation besonders gefährlich sein.
Magersucht tritt häufig bereits im Alter von 12 bis 14 Jahren auf – ein sensibles Entwicklungsfenster, in dem Jugendliche besonders beeinflussbar sind. Kritiker*innen warnen daher vor einer neuen Welle von Essstörungen, getrieben durch algorithmisch verstärkte Schönheitsideale.
Was sind die Warnsignale einer Essstörung?
Ein verändertes Ess- und Bewegungsverhalten kann ein erstes Warnsignal für die Entstehung einer Essstörung sein. Auffällig ist oft, dass gemeinsame Mahlzeiten zunehmend vermieden oder ganz ausgelassen werden. Auch das akribische Zählen von Kalorien, der Rückzug aus dem sozialen Umfeld oder das plötzliche Aufgeben geliebter Hobbys können Hinweise auf ein gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper sein. Ebenso sollten starke Gewichtsschwankungen aufmerksam machen.
Wollen Eltern ihr Kind auf diese Veränderungen ansprechen, ist Fingerspitzengefühl gefragt. Fachärzte raten dazu, das Gespräch nicht einseitig auf das Thema Essen oder Gewicht zu fokussieren. Stattdessen sei es hilfreicher, die eigene Sorge zu formulieren und behutsam nachzufragen: „Ich habe das Gefühl, dass sich etwas verändert hat – gibt es etwas, das dich belastet?“ Direkte Fragen nach Essverhalten oder Körpergewicht könnten dazu führen, dass sich das Kind zurückzieht und das Gespräch blockiert.
Erste Anlaufstellen bei Verdacht auf eine Essstörung sind die Haus- oder Kinderärztin, der Kinderarzt – oder spezialisierte Beratungsstellen wie Waage e.V. in Hamburg. Eine Übersicht über weitere Beratungsangebote in ganz Deutschland bietet die Datenbank des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit.
Wie kann man gesund abnehmen?
Dass das “Skinny-Girl Mindset” und generell der Trend “Skinny-Tok” nicht gesund sind, sollte nun klar sein. Übergewicht ist allerdings auch nicht gesund. Wer gesund abnehmen möchte, sollte sich also nicht von Tik Tok Abnehmtipps holen, denn das kann leider schnell zu einer Essstörung führen. Stattdessen kann man mit ganz kleinen Veränderungen im Alltag ein gesundes Gewicht erreichen und auch dauerhaft halten:
Realistische Ziele setzen
Wer gesund abnehmen möchte, sollte sich zunächst realistische und erreichbare Ziele setzen. Ein Gewichtsverlust von etwa 0,5 bis 1 Kilogramm pro Woche gilt als sinnvoll und schonend für den Körper. Kleine Fortschritte motivieren langfristig mehr als radikale Veränderungen. Wichtig ist, dass das Abnehmen nicht als kurzfristiges Projekt, sondern als nachhaltige Ernährungsumstellung durchgesetzt wird.
Ausgewogene Ernährung
Eine gesunde Gewichtsreduktion basiert auf einer ausgewogenen und nährstoffreichen Ernährung. Dabei sollten bevorzugt unverarbeitete oder nur gering verarbeitete Lebensmittel wie frisches Gemüse, Obst, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse und hochwertige Fette gegessen werden. Eiweißquellen wie Fisch, Eier oder fettarmer Joghurt unterstützen den Muskelaufbau und sorgen für ein langanhaltendes Sättigungsgefühl. Gleichzeitig ist es ratsam, stark zuckerhaltige und fettreiche Fertigprodukte zu meiden. Auch regelmäßige Mahlzeiten sind hilfreich, um Heißhungerattacken vorzubeugen. Komplett auf bestimmte Lebensmittel zu verzichten, ist in der Regel nicht notwendig – im Gegenteil: Ein flexibler Umgang mit dem Essen unterstützt oft die langfristige Umstellung. Und ganz wichtig: Man darf sich auch mal was gönnen. Von einer Pizza in der Woche wird man nicht zunehmen, die Menge ist hierbei das Gift.
Ausreichend trinken
Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr ist für den Stoffwechsel und das allgemeine Wohlbefinden unerlässlich. Idealerweise trinkt man täglich etwa 2 bis 3 Liter Wasser oder ungesüßten Tee – bei sportlicher Betätigung entsprechend mehr. Kalorienhaltige Getränke wie Limonade, Fruchtsäfte oder Alkohol sollten möglichst reduziert oder ganz vermieden werden, da sie unbemerkt viele Kalorien enthalten.
Bewegung in den Alltag einbauen
Bewegung ist ein wichtiger Punkt beim gesunden Abnehmen, es muss sich aber nicht zwangsläufig um intensives Training handeln. Schon regelmäßige Spaziergänge, Fahrradfahren, Treppensteigen oder Tanzen können helfen, den Energieverbrauch zu steigern und das Körpergefühl zu verbessern. Denn so kann man ein leichtes Kaloriendefizit erreichen, was beim Abnehmen das A und O ist. Größer als 300 Kalorien sollte das Defizit allerdings nicht sein. Viel wichtiger ist, dass die Bewegung Freude bereitet und sich dauerhaft in den Alltag integrieren lässt – denn nur so bleibt man langfristig aktiv und motiviert.
Fazit
Dass soziale Medien Risiken mit sich bringen, ist nichts Neues. Doch noch nie war die Anzahl an Videos mit vermeintlichen "Abnehmtipps" so hoch wie aktuell. Das ganze Thema sollte man mit Vorsicht genießen und es nicht so sehr an sich heranlassen, denn was man bei der Thematik nicht vergessen darf ist: Jeder Körper ist schön. Skinny-Tok ist vermutlich ein Trend wie jeder andere - und damit auch hoffentlich schnell wieder Vergangenheit. Anstatt sich also unter Druck setzen zu lassen, sollte man einfach auf einen gesunden Lebensstil achten, bei dem man sich auch mal etwas gönnen kann.
Quellen:
Bayerischer Rundfunk: TikTok zerstört eure Gesundheit. https://www.ardmediathek.de/video/puls-reportage/so-gefaehrlich-ist-der-algorithmus-von-tiktok/br/Y3JpZDovL2JyLmRlL3ZpZGVvLzEzZjZiNWRkLTBlZjctNGRmMS05Y2QwLTE1NmRjOTM5OWVmZQ
Gilsbach, S. et al.: ncrease in admission rates and symptom severity of childhood and adolescent anorexia nervosa in Europe during the COVID-19 pandemic: data from specialized eating disorder units in different European countries. In: Child and Adolescent Psychiatry and Mental Health : 01.01.2022, https://capmh.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13034-022-00482-x
Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit: Nehmen Essstörungen zu?. https://www.bzga-essstoerungen.de/was-sind-essstoerungen/wie-haeufig-sind-essstoerungen/nehmen-essstoerungen-zu/
Becker, A. E., Burwell, R. A., Herzog, D. B. et al.: Eating behaviours and attitudes following prolonged exposure to television among ethnic Fijian adolescent girls.. In: British Journal of Psychiatry: 01.01.2002, https://www.cambridge.org/core/journals/the-british-journal-of-psychiatry/article/eating-behaviours-and-attitudes-following-prolonged-exposure-to-television-among-ethnic-fijian-adolescent-girls/44470008998A2B5155CE9C9691243D76
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